BERICHT AUS MEINER ZEIT ALS ENGLISCH-LEHRKRAFT IN NICARAGUA
Für mich war schon recht früh klar, dass ich nach Abschluss meiner Ausbildung in der Pädagogischen Hochschule in Rorschach in einem lateinamerikanischen Land unterrichten wollte. Zum einen, weil die Schweiz ein Migrationsland ist und ich interkulturelle Kompetenzen im schweizerischen Schulsystem als wichtig erachte, zum anderen, weil mich die lateinamerikanische Kultur schon immer fasziniert hat. Über Bekannte bin ich dann auf das Projekt in Nicaragua gestossen. Luciana Corazza hat mich über die Bedingungen, die in dem Dorf La Paz de Carazo herrschen, aufgeklärt und mich auf die ärmlichen Verhältnisse, die dort vorzufinden sind, vorbereitet. Da ich bereits eine neunmonatige Reise durch Südamerika hinter mir hatte, fühlte ich mich der Herausforderung gewachsen und freute mich bereits auf die bevorstehende Lehrtätigkeit in der Schule Pastorcitos de Belén.
Es war vorgesehen, dass ich für den Englischunterricht von der ersten bis zur sechsten Klasse zuständig war. Deshalb kaufte ich bereits in der Schweiz ein Englischlehrmittel, den Lehrerkommentar und eine CD mit Liedern, Reimen und anderen Höraufgaben. So ging ich also bestens vorbereitet und sehr motiviert nach Nicaragua.
Am Flughafen wurde ich von Sor Magdalena abgeholt und ins Dorf gefahren. Im Hause warteten bereits Carminia, die für die Administration der Schule zuständig ist, ihr Ehemann Fredy und deren Kinder auf mich und hiessen mich herzlich willkommen.
Mir wurde eine Woche gewährt um meinen Jetlag zu überwinden, mich ein bisschen einzuleben und die Umgebung und den Schulbetrieb kennenzulernen, bevor ich dann selbst einsteigen sollte. Da Madre Carmen zur Zeit meiner Ankunft im Spital lag und immer jemand bei ihr war, fiel es mir anfänglich ein wenig schwer zu durchschauen, wer denn nun bei mir wohnte und wer nicht. Doch schon bald kannte ich alle, die mit mir im Haus wohnten: Madre Carmen, Sor Magdalena, die gleichaltrige Francis und der siebenjährige Christopher.
Am zweiten Tag nach meiner Ankunft führte mich Sor Magdalena in die Schule, wo mich eine riesige Überraschung erwartete. Die Kinder hatten mit Hilfe ihrer Lehrpersonen einen Akt für mich vorbereitet, der mir vor Rührung Tränen in die Augen zauberte. Ich durfte mich auf einen Stuhl in die Mitte setzen und die Kinder trugen mir Lieder, traditionelle Tänze sowie Poesie vor und hiessen mich in ihrer Schule herzlich willkommen.
Schnell war die die erste Woche vorbei, und ehe ich mich versah, stand ich auch schon vor einer Schulklasse, die ich in Englisch unterrichten sollte. Doch was mich erwartete, widersprach jeder Vorstellung, die ich im Vornherein erwartet hatte. Ich dachte, dass es für Kinder aus solch ärmlichen Verhältnissen ein Privileg sei eine Schule zu besuchen. Doch stattdessen fand ich einen Haufen Kinder vor, die zwar gerne zur Schule gingen, jedoch eine völlig andere Vorstellung von Lernen und Erfolg hatten, als es bei uns in der Schweiz üblich ist. Sie kannten weder das Aufstrecken, noch waren sie gewohnt konzentriert bei der Sache zu sein. Es prallten wortwörtlich zwei Welten aufeinander. Mit der Zeit näherten wir uns an, so dass der Unterricht gewinnbringend für beide Seiten war. Ich musste von meiner bisherigen Vorstellung von Schule um einiges abweichen und sie mussten einiges lernen, was die Disziplin betraf. Wenn ich anfänglich Hausaufgaben gab, so konnte ich sicher sein, dass etwa die Hälfte der Kinder die Hausaufgaben nicht erledigten. Deshalb stellte ich meine Lehrmethoden um. Anstatt den Kindern zu sagen, was sie als Hausaufgaben erledigen sollten, regte ich durch Wettbewerbe und Quize die Lernmotivation meiner Schüler an. Sie wiederum lernten, wozu Regeln und ihre Einhaltung gut waren und hielten sich dann auch mehr oder weniger daran. Auch fiel mir auf, dass sie von den anderen Lehrpersonen vorwiegend Frontalunterricht erhielten, während ich mir zum Ziel setzte, neue Lehr- und Lernmethoden einzuführen, sie auch in Gruppen arbeiten und – für mich sehr wichtig – die Schüler Selbstverantwortung übernehmen zu lassen.
Die Lehrpersonen der Schule unterrichten ihre Klassen mit viel Engagement und Liebe, doch ich merkte, dass es sinnvoll wäre, auch Geld in eine Lehrerweiterbildung zu investieren. Für die Schüler der Schule Pastorcitos de Belén wäre es auch gewiss Gewinn bringend, wenn sie Schulbücher hätten. Sie hatten bloss ein einfaches Heft, in das sie selbst Notizen machten und abschrieben, was gelehrt wurde. Während meiner Ausbildung habe ich jedoch gelernt, wie wichtig es für Kinder ist, das Gelernte auf verschiedenen Kanälen (visuell, auditiv und auch kinästhetisch) zu erfassen und zu verarbeiten.
Es erscheint mir unglaublich, wie gut die Lehrpersonen der Schule den Schülern mit den gegebenen Mitteln die Materie vermitteln, die Materialknappheit verlangte von ihnen wie auch von mir selbst jeweils sehr viel Innovation und Kreativität.
Die Schule befindet sich meines Erachtens auf einem sehr guten Weg und birgt sehr viel gutes Potenzial, doch mit mehr finanziellen Mitteln, die im Moment einfach fehlen, könnten der Schulalltag wesentlich verbessert werden.
Auch meine Eltern, die beide Lehrpersonen sind, haben dieses Problem umgehend erkannt und deshalb Schulbücher für die erste Klasse im Fach Spanisch gespendet.
Meine Zeit in der Schule in Nicaragua hat mich vieles gelehrt (auf persönlicher sowie auch auf beruflicher Ebene) und wird für mich unvergesslich bleiben. Von ganzem Herzen danke ich allen, die mir diese wichtige Erfahrung ermöglicht haben, insbesondere Sor Magdalena und Madre Carmen, die mich mit so viel Liebe und Toleranz aufgenommen haben, wie ich dies vorher gar nie für möglich erachtet habe.
Herzlichen Dank an die Leute in Nicaragua, jedoch auch an die Leute, die dieses Projekt unterstützen. Das Projekt ist wichtig und gibt vielen Menschen Hoffnung und Perspektive.
Corina Eichenberger
7. Mai 2009